Der Rosenheimer SPD-Fraktionsvorsitzende Abuzar Erdogan zu den sogenannten Corona-Spaziergängen:
(Interview mit Anna Heise, OVB)
Ich glaube, dass es mehrere Ursachen hierfür gibt. Wenn man in die jüngere Geschichte schaut, wird man schnell erkennen, dass vor allem das rechte politische Lager jede Krisensituation für eigene Zwecke genutzt hat, nämlich für das Hetzen gegen Staat, Demokratie und Rechtsstaat. Nach der erhöhten Einwanderung im Jahr 2015 entstanden Aufmärsche, die sich unter Namen wie "Pegida" versammelten. Es handelte sich um ein Sammelbecken von rechtsextremen bis rechten Gruppen, die offen Menschenfeindlichkeit ausgelebt haben. Nun ist es die Querdenker-Bewegung, in der sich u.a. Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und Rechte versammeln. Neu ist, dass nun auch Teile von eher esoterisch geprägten Gruppen dabei sind. Hiervon klar zu trennen ist der demokratische Protest von Menschen, die sachlich ihre Kritik an staatlichen Maßnahmen, die auch ich nicht immer gut finde, zum Ausdruck bringen. Sachliche Kritik muss man ernst nehmen und darauf reagieren. Die Politik hat das in weiten Teilen auch gemacht. Was die demokratiefeindlichen Bewegungen angeht, braucht es eine klare Kante und schärfere Gesetze, die demokratiefeindliche Bestrebungen härter ahndet. Wenn Menschen auf diesen Demos Mordgelüste äußeren oder davon sprechen, dass man Politiker entsorgen müsse, dann gibt es keine Basis für einen Dialog. Dann braucht es die Härte des Rechtsstaates, da sonst verbale Entgleisungen in Gewalt enden. Auch im Bereich des Internets muss es klarere Regeln geben, anonyme Chat- und Social Media Profile darf es nicht mehr geben, da die verbale Entgleisungsspirale oft anonym im Netz beginnt.
Ich habe den Eindruck, dass es bei den "Spaziergängern" zwar auch noch um Corona geht, im Vordergrund steht aber das viel beschworene "System". Damit ist der Staat, seine Institutionen und die demokratischen Parteien gemeint. Die Bewegung hat diese zum Feindbild ausgerufen und arbeitet mit jeder Demo, mit jeder Kundgebung immer deutlicher und radikaler daran, diese Institutionen zu bekämpfen. Insofern ist darin sehr wohl eine Gefahr für die Demokratie zu sehen. Es ist längst ein Fall für den Verfassungsschutz.
Pauschal von "der Politik" zu sprechen, ist falsch. Bei aller Kritik und bei allen Fehlern, die gemacht wurden (schlechtes Management bei der Impfstoffbestellung, zum Teil sehr zögerliches Einschreiten) kann man den demokratischen Parteien unterm Strich ein gutes Zeugnis ausstellen. Keiner hat die Corona-Pandemie herbeigerufen, jeder versucht nach bestem Gewissen Krisenmanagement zu betreiben.
Wir unterstützen die Bewegung, finden aber, dass Parteipolitik in dieser Bewegung keinen Platz haben sollte. Es geht darum, Demokratie und Rechtsstaat zu verteidigen und den Pflegekräftern unsere Solidarität zu zeigen. Ich würde mir wünschen, dass die Bewegung dies beherzigt und in Zukunft auf noch mehr Unterstützer zurückgreifen kann, denn die "Spaziergänger" sind nach wie vor eine absolute Minderheit, die laut schreien. Dem muss die Gesellschaft deutlicher entgegentreten.